Ausgabe 1/2010
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"jeitinho brasileiro"
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Fluch und Segen des "jeitinho brasileiro"

Von Jörg Garbers, Lehrer an der Theologischen Fakultät

Es gibt ja nun eindeutig Worte, die sich sehr schlecht in eine Fremdsprache übersetzen lassen. Versucht einmal das deutsche Wort Oberweserdampfschiffahrtskapitänsmützenpatente in das Portugiesische zu übersetzen. Nun ist dies ja zum Glück ein Wort, das selten im Alltag gebraucht wird. Andere alltäglichere deutsche Worte fassen Gefühle und Dinge so zusammen, dass sie beim Übersetzen sehr genau erklärt werden müssen. Dazu gehören vor allem geläufige Redewendungen, mit denen ein Brasilianer nichts anzufangen wüsste, wenn man sie ihm nicht verständlich macht. Es gibt nun ein brasilianisches Wort, das im Munde aller Brasilianer und in ihrem Wesen fest verankert ist. Ich denke es vergeht kein Tag im Leben eines Brasilianers, an dem er nicht dieses kleine Wörtchen gebraucht. Es handelt sich um den "jeito" oder besser in seiner Verniedlichungsform "jeitinho". Was ist ein "jeitinho"? Dies ist eine gute Frage. Mit Sicherheit lässt sich nur sagen, dass dies ein Wort ist, das sich nicht wortwörtlich in die deutsche Sprache übersetzen lässt. Lasst mich dies an einem kleinen Beispiel erläutern: Stellt Euch einmal einen Geschäftsmann vor, der einen Bestand an Regenschirmen besitzt und diesen Bestand nun dringend verkaufen muss. Stellen wir uns dann vor, er käme auf die Idee seinen Vorrat an Regenschirmen mit in den Amazonas zu nehmen und dort zu verkaufen, weil es dort täglich zwischen 15 und 16 Uhr regnet und gewittert. Im Brasilianischen würde man sagen: Er fand einen "jeitinho" seine Regenschirme zu verkaufen. Stellen wir uns diesen Geschäftsmann nun ein weiteres mal vor. Diesmal erinnert er sich an einen Freund in der hohen Politik, der Einfluss auf die Industrienormgesetzgebung (was für ein schönes deutsches Wort) hat. Er verspricht diesem Freund nun eine Beteiligung am Erlös des Verkaufes seiner Regenschirme, wenn er die Gesetzgebung so ändert, dass nur seine Regenschirme der Sicherheitsnorm entsprechen. Gesagt – getan! Kurz darauf kann unser Mann alle Regenschirme verkaufen und sein Freund hat auch noch etwas davon. Wieder würde der Brasilianer sagen: Er fand einen "jeitinho" seine Regenschirme zu verkaufen. Nun wollen wir ein drittes mal an diesen Geschäftsmann denken und uns vorstellen, er hätte eine Waffe im Haus. Als er nun mit einem LKW voller Regenschirme sein Haus verlässt, nimmt er seine Waffe mit. Er stattet nun einem unbekannten Menschen, der genügend Geld besitzt, einen freundlichen Besuch ab, setzt dem Menschen die Waffe auf die Brust und zwingt ihn, alle Regenschirme abzukaufen. Wieder fand er einen "jeitinho" seine Regenschirme zu verkaufen. Was also bedeutet nun das Wort "jeitinho"? Hatte er eine kreative Idee? Bestach er einen Politiker? Bedrohte er einen Unbekannten? Der "jeitinho" kann alles sein. Er bedeutet, in unmöglichen Situationen einen Ausweg zu finden. Auch da noch weiterzukommen, wo eigentlich alles ausweglos ist. Mit anderen Worten: das Unmögliche möglich zu machen. Dabei ist das Wort "jeitinho" sehr flexibel. Der "jeitinho" kann legal, halblegal oder illegal sein. Hauptsache, man erreicht, was man sich vorgenommen hat, dem anderen versprochen hat oder schlichtweg Lust hatte, einmal zu tun. Der Segen des "jeitinho" besteht darin, dass Brasilianer unheimlich kreativ sein können, auch in den schwierigsten Lagen noch herauskommen, innovativ und sehr flexibel sind. Der Fluch des "jeitinho" besteht darin, dass Häuser so gebaut werden, Strassen auf diese Weise asphaltiert werden, alles nicht so genau genommen wird, denn hinterher findet sich bestimmt ein "jeitinho". Man kann Geld ausgeben, das man nicht besitzt, denn später gibt es bestimmt einen "jeitinho", um das nötige Kleingeld aufzutreiben.... Man lernt in Brasilien mit dem "jeitinho" zu leben, denn ohne "jeitinho" lässt es sich in Brasilien nicht leben. Man leidet unter dem "jeitinho", man möchte ihn aber auch nicht mehr missen, den "jeitinho", denn auch in scheinbar ausweglosen Situationen gilt: auf den "jeitinho" ist Verlass.

 

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Last modified: Thu Feb 23 00:00:00 CET 2010