Ausgabe 2/2014

als PDF-Datei:

Titel
Editorial
Hebammendienst
Lar Filadélfia
Alternative Hoffnung
Aus der Kinderarbeit in Condordia
Brasilien aktuell
Partnerschaft
MEUC & GBM
Fußball
Gedanken eines Rückkehrers
Christus bewegt
Die Vergangenheit zählt nicht
››Neues wagen‹‹
Kurz notiert
Gebetsanliegen

Archiv
 

Der Fußball und wir. Gedanken eines Rückkehrers

Rebeca und Vitor Schell lebten fünf Jahre in Deutschland. Vitor Schell wurde in Jena zum Dr. theol. promoviert. Sie beschreiben, wie sie die Rückkehr nach fünf Jahren erlebten.

Von Dr. Vitor Hugo Schell

Rebecca und Dr. Vitor Schell mit dem früheren Inspektor Wilhelm Kunz

Fünf Jahre sind eine ziemlich lange Zeit, die, wie vieles im Leben, doch so schnell verging. Zweimal durften wir in dieser Zeit auf Ein­ladung unserer Eltern unsere Heimat besuchen. Jedesmal, wenn wir gefragt wurden, ob wir schon ››Deutsche geworden wären‹‹, antworteten wir stets mit ››Nein‹‹. Uns war immer klar, dass wir Brasilianer sind und auch immer Brasilianer bleiben werden! Heimat ist und bleibt für immer Heimat! Innerlich wurde uns aber sehr schnell klar, dass wir unsere Heimat schon anders betrachteten als zuvor! Keine Frage ist, dass wir uns in den vergangenen fünf Jahren doch etwas verändert haben! Uns ist allerdings deut­lich geworden, wie positiv und bereichernd es ist, unsere kleine Welt von damals, seien es Freundschaf­ten, familiäre oder gemeinschaftliche Beziehungen oder die Verhältnisse in unserer Gemeinde und in unserer Stadt einmal aus anderer Perspektive, näm­lich von weit draußen und damit neu zu betrachten. Nun sind wir seit drei Monaten zurück in der Hei­mat – doch manchmal haben wir noch das Gefühl, bald wieder nach São Paulo, von dort nach Frankfurt und dann vom Flughafen-Fernbahnhof wieder nach Jena fahren zu müssen. Wären nicht die Sanierungs­maßnahmen an und in unserem neuen Zuhause auf dem Campus in Mato Preto und die große Menge an Arbeit an der FLT, die mich wirklich unheim­lich begeistert, würden wir sagen, dass wir diese Zeit manchmal so empfinden, als ob wir in Brasilien eine Art Praktikum machen und danach wieder nach Jena zurückkehren würden.

Und so stellt sich uns oftmals dann, wenn wir hier von positiven oder negativen Veränderungen über­rascht werden, die Frage, ob in den letzten fünf Jah­ ren nur wir selbst uns verändert haben oder auch unsere Heimat anders geworden ist. In diesem Jahr haben wir wieder Wahlkampf. Unsere Präsidentin, Frau Roussef, wird für eine weitere Amtsperiode von vier Jahren kandidieren. Im Jahre 2008, als wir nach Deutschland aufbrachen, war noch Lula im Amt. Nun sind wir positiv überrascht, dass in den Nachrichten immer wieder berichtet wird, dass Politiker, die wegen Korruption verurteilt worden sind, tatsächlich ins Gefängnis wandern. Was für eine gute Nachricht! Das sind hoffnungsvolle Zei­chen für eine bessere Entwicklung unseres Landes. Die Jugend protestiert und rebelliert. Mehr junge Menschen kommen an die Universitäten und sind wahrscheinlich deshalb kritischer geworden! Von den ersten Protesten im Land hatten wir schon in Deutschland gehört. Auch wenn die Proteste vorerst weniger geworden sind oder aufgehört haben, wer­den wahrscheinlich immer wieder neue beginnen. Denn Schul- und Gesundheitssystem sind vor allem in den Großstädten unzureichend und schlecht.

Das ist eine Schande. Dagegen sind in diesen Bereichen in mittelgroßen oder kleineren Städten, dort wo die Kommunen eine laute­ re Stimme und mehr Einfluss haben, deutliche Unterschiede zu erkennen. Wir merken schon, wie sich hier die wirtschaftliche Situation verändert hat. Die Armen haben ein etwas höheres Einkommen und damit auch eine stärkere Kaufkraft. Das zeigt sich z.B. auf den Straßen, die von Autos überfüllt sind. Ein kleines neues Auto zu kaufen, ist nicht mehr so sehr schwer und manch­ mal kann man es in fünf Jahren abbezahlen, wobei die Zinsen sehr niedrig oder gleich Null sind. Scha­ de nur, dass die Straßen die gleichen bleiben – und zwar gleich schlecht! Und leider sind die öffentli­chen Verkehrsmittel in Brasilien keine Alternative, sondern eher ein Witz. Ihr dürft mir glauben – ich vermisse die roten und weißen Züge in Deutsch­ land, die sehr schön, sehr sauber und sehr pünktlich sind (ja, ich meine tatsächlich – sehr pünktlich!!) Auch Fliegen war vor fünf Jahren in Brasilien güns­tiger. Es gibt zu wenige Flughäfen, und die wenigen vorhandenen sind inzwischen zu klein und zu alt. Die Entfernungen aber sind nicht kürzer geworden. Brasilien ist und bleibt ein riesiges Land! Es fehlt an ausreichender und moderner Infrastruktur, was mittlerweile ein sehr großes Problem für uns ist! Das meiste wird zu kurzfristig und zu schlecht geplant.

Und an dieser Art zu ››planen‹‹ wird sich bei uns wohl so schnell nichts ändern, auch wenn man jetzt lauthals verspricht: ››Bis Juli wird alles anders!‹‹ Denn im Juli beginnt die WM! Doch nur im Traum wäre es möglich, bis Juli all das zu verändern, was verändert werden müsste. Irgendwie wird es aber doch gehen! Denn das ist das Faszinierende am ››jeitinho bra­sileiro‹‹, die Lebensfreude, der Enthusiasmus und die Leichtigkeit unserer Menschen hier! Ihr dürft mir glauben, dass abgesehen von der Korruption und anderer Faktoren, welche die WM momentan fragwürdig erscheinen lassen, die Menschen hier im Lande ihr Bestes geben werden, damit die WM ein schönes Fest wird! Und das nicht den internationa­len Fußballorganisationen oder den Politikern zu­liebe, sondern wegen ihrer eigenen Wertschätzung und ihres Stolzes!! Korruption und andere Prob­leme werden noch länger bestehen! Doch es gibt Dinge, die sich nicht unterdrücken lassen! Das sind Prägungen und Eigenschaften, die tief in den Men­ schen verwurzelt sind! Eine Werbung im Fernsehen propagiert: ››Der Fuß­ball kommt in die Heimat zurück! Er kommt nicht in das Land, in dem er geboren wurde, aber doch in das Land, wo er sich zu Hause fühlt!‹‹ ››Mr. Fußball‹‹ wird hier in Brasilien bestimmt das finden, was Rebeca und ich auch hier fanden – wie­der zurück in der Heimat zu sein!


Seite zurük Seite vor
Vitor Schell ist nach seiner Pro­mo­vie­rung in Deutschland nun als Dozent an der FLT in São Bento do Sul tätig.

 

 

home

 

impressum

   © 2015 by GnadauerBrasilienMission•  info@gbm-meuc.org


Last modified: Sun Jan 4 10:05:10 CET 2015